Hauswurz Salbe der Philippine Welser

Als ich letztes Jahr in der Ausbildung "Naturheilkunde Pädagogik" über Wochen in alten Schriften geschwelgt bin, hat mich vor allem immer ein Thema interessiert: welche Pflanzen spiel(t)en im Alpenraum eine herausragende Rolle und sind sogar noch im Gebrauch oder kennt man zumindest noch vom Hörensagen?
Einer dieser Alpen Stars, die fast jeder kennt und über die man doch nur noch wenig Genaues weiß, ist die Hauswurz die zu Recht auch als die "heimische Aloe" bezeichnet wird.


 


Die Hauswurz (Sempervivum tectorum) 

im Volksmund unter anderem auch Dachwurz, Donnerwurz, Dunerknöpf, Wetterwurz, Zidriwurzn oder Jupiterbart genannt kommt ursprünglich aus Südeuropa was auch die Vorlieben für ihren Standort erklärt: sie liebt die Sonne, aber sonst ist sie recht genügsam, am liebsten wächst sie auch auf kargem oder felsigen Untergrund und kommt mit wenig Wasser aus, mehr braucht sie nicht für ihr Glück.
Im Gegenteil: zuviele Nährstoffe oder zuviel Wasser bekommen ihr nicht. Wer genau beobachtet, entdeckt bei einer Nährstoffüberversorgung, dass sich der untere Blätterrand der Hauswurz mit aller Kraft gegen den Boden stemmt und sich dabei selbst entwurzelt um so einen Nährstoffüberschuss zu verhindern. Sobald sie wieder Nährstoffe braucht, wurzelt sie wieder von alleine an. Das erklärt warum die Hauswurz manchmal einfach nur "herumkugelt"....faszinierend!

Wer Hauswurz bei sich im Garten hat weiß: sie ist immergrün und vermehrt sich rasend schnell, entweder über Samen aber vor allem über Wurzelausläufer, sie bildet nach kurzer Zeit bereits mehrere Tochterrosetten.

Die Blüten im Sommer sind nicht zu übersehen, sitzten sie doch sehr präsent verzweigt auf einem schuppigen Stängel der meist um die 20cm Höhe und durchaus mehr erreichen kann.
Die Blätter sind fleischig und, ähnlich der Aloe, sehr saftig und können von Frühling bis Herbst verwendet werden, wofür könnt ihr weiter unten im Post nachlesen. Trotz ihrer Vermehrfreudigkeit ist sie in freier Wildbahn sehr, sehr selten und steht daher unter Naturschutz!

Die Hauswurz als Gartenpflanzen kann aber natürlich ohne Bedenken verwendet werden. Oftmals ist die Hauswurz, vor allem im Alpenraum auch noch auf Hausdächern zu finden. Daher rühren nicht nur ihr Volksnamen "Dachwurz" sondern auch ihr lateinischer Name "Sempervivum tectorum" das heißt übersetzt soviel wie "Immer lebende Bedeckung“



Wie kam die Hauswurz aufs Dach?
In der sogenannte „Landgüterverordnung” (Capitulare de villis), die von Karl dem Großen aus dem 8. oder 9. Jahrhundert n. Chr. stammen soll, wurden 72 Pflanzen aufgezählt die zu Nahrungs- und Heilzwecken gepflanzt werden sollen, über die Hauswurz ist darin zu lesen: „Und der Landmann habe auf seinem Hause Jupitersbart" auf diese Weise wurde die Pflanze nahezu in ganz Europa verbreitet.

Um zu verstehen, warum die Hauswurz, dermaßen verehrt wurde, kann man noch weiter zurück gehen und findet in Max Höflers "Volksmedizinische Botanik der Germanen" folgenden Hinweis: die Hauswurz galt als Hausgeist, der Blitz & Donner abwehren sollte und Bewohner und Vieh vor Unheil schützen sollte. 

Auch römische Kaiser haben sich angeblich bereits mit der Hauswurz gekrönt um (politische?) Unwetter abzuwenden.

Und über die keltischen Druiden sagt man, sie hätten in rituellen Zeremonien die Hauswurz in die Kronen ihrer verehrten Bäume gehängt um sie so vor Blitz zu schützen. 

Wie es zu dieser Ansicht kam, können wir heute nur noch vermuten, allerdings deuten die zahlreichen hinterbliebenen Volksnamen auf einen starken Volksglauben im Zusammenhang mit der Hauswurz hin. 

Praktischer betrachtet half die Hauswurz auch dabei Lehm- oder Strohdächer zusammen zu halten und wahrscheinlich war man der Ansicht, dass ein "saftiges Dach" eher vor Feuersbrunst schützen kann. 

"Du Hauswurz bist als Deck; halt Feuer und Flammen weg!"



Auch als Orakelpflanze wusste man die Hauswurz zu schätzen: blühte die Hauswurz so standen Veränderungen ins Haus. Rötliche Blüten prophezeit ein freudiges Ereignis, weiße Blüten bedeutete nichts Gutes "je nach Huld oder Unhuld des Hausgeistes"
Viel Hauswurz am Dach deutete auf gesunde HausbewohnerInnen hin, da die Hauswurz nicht über Maß für die Gesundheit benötigt wurde. Aber auch auf Glück und reichen Milchsegen. 

Interessant für die Verwendung in der Volksheilkunde ist folgender Hinweis Höflers: "Das für Kinder und Haus waltende Weib griff zuerst in seinen Notlagen zu diesem schirmenden Hausgeist im Wurzelgarten,...., den nächsten Pflanzen seiner primitiven Siedlung, der Saft der fleischigen Blätter deckte (Brustwarzen) Schrunden zu und kühlte."

Auch der griechische Arzt Dioskurides schrieb im 1. Jahrhundert in seinem Werk „Materia Medica“ über die Hauswurz: 
"Es hat kühlende Kraft, wirksam gegen kriechende und fressende Geschwüre, Augenentzündungen, Brandwunden." 
"Der saft mit Rosenöl wird gegen Kopfschmerzen angespreng.t"
"Mit Wein getrunken tötet er die Eingeweidewürmer."
"Ferner stellt er den Fluss der Frauen."

Bis heute ist Hauswurz in der Volksheilkunde in Verwendung:
  • Blätter äußerlich (direkt mit Schnittkante des Blattes oder zu Brei gestoßen) oder zu Salbe verarbeitet bei Quetschungen, Prellungen, Stauchungen, Verbrennungen, Entzündungen, Sonnenbrand, Insektenstichen, Schrunden, ferner auch bei Hühneraugen und Warzen.
  • Schrunden, Hühneraugen und Warzen werden mit dem Saft eines Blattes eingerieben. Früher wurde anschließend das Blatt mit einer Beschwörungsformel weggeworfen, dabei ging man rückwärts.
  • als Tee bei Bauchkrämpfen, Menstruationskrämpfen, Würmern: 2-3 Hauswurzblätter zerstoßen (ca. 1 EL) und mit 1/4l heißem Wasser aufgießen, ziehen lassen, abseihen und hernach schluckweise trinken.
  • als Durstlöscher bei Fieber: 2-3 Hauswurzblätter werden in ein Glas kaltes Wasser gelegt und nach einer halben Stunde getrunken
  • bei Fieber: zerquetschte Blätter zum Kühlen auf die Stirn gelegt
  • Entzündungen der Mundschleimhaut: 2-3 Hauswurzblätter zerstoßen und mit Wasser verdünnt spülen und gurgeln
  • Äußerlich gebrauchte man früher den frischen Saft auch bei Augenentzündungen oder Ohrenschmerzen und Schwerhörigkeit (um das Ohrenschmalz aufzulösen.
  • Impotenz: laut Hildegard von Bingen half die "Hauswurz Milch Suppe" sie schrieb dazu "Wenn einem Mann der Samen vertrocknet, sodass ihm Samenfäden fehlen, ohne dass er schon im Greisenalter ist, dann soll er Hauswurz so lange in Ziegenmilch legen, bis diese ganz von der Milch durchdrungen ist. Dann soll er sie in dieser Milch kochen, wobei er noch Eier dazu geben soll, damit eine Speise daraus wird. Das soll er an 3 oder 5 Tagen essen. Sein Same wird wieder die Kraft zum Zeugen bekommen und er wird blühende Nachkommenschaft haben." Sie empfahl die Suppe auch bei Frauen als Aphrodisiakum und bei Sterilität- Dem gemeinsamen Abendessen steht somit nichts im Wege ;) Die Zubereitung mit lebensspendender Milch war sehr typisch für die Germanen und Hildegards Empfehlung konnte daher schon dort ihren eigentlichen Ursprung haben.
"Wer edle Hauswurz hält in Ehren, kann wohl manchem Übel wehren!" (Alraunchens Kräuterbuch 1883) 


Inhaltsstoffe:
Gerbstoffe, Bitterstoffe, Schleimstoffe, Apfelsäure, Zucker,Harze, Ascorbinsäure (Vitamin C) 

 
Spannend ist auch die Signaturlehre der Hauswurz:

  • in der Form ähnlich wie die Blume des Lebens
  • ordnend und strukturiert
  • zentrierend
  • einfach und pflegeleicht
  • verwurzelt aber auch bereit sich bei "zuviel" zu lösen
  • genügsam, weniger ist mehr
  • immergrün (potent)

Wahrscheinlich möchtest du dich jetzt von der Theorie praktisch selber überzeugen, dafür habe ich ein tolles Rezept aus dem Alpenraum, das ich letztes Jahr auch als "Hausübung" im bereits erwähnten Naturheilkunde Lehrgang angefertigt habe.



Die Hauswurz Salbe der Philippine Welser
Quelle: "Hausmittel-Rezeptsammlung" der Philippine Welser, Gattin des von 1557 bis 1580 in Tirol regierenden Erzherzog Ferdinand.


"Hauswurz dick einkochen, Arnikasaft dazugeben, ganz wenig Pech (= Harz) und etwas Schweineschmalz zuletzt mitkochen, vom Feuer ziehen und solange verrühren bis alles kalt und steif ist. Die Salbe ist sehr gut bei Verletzungen und frischen Wunden.“

Innere Werte

  • 1 Handvoll klein geschnittene Hauswurzblätter*
  • ein Schuss Wasser
  • 1 Handvoll Arnika (ich habe mangels Arnika Johanniskrautblüten verwendet)
  • 3-4 EL Kokosfett (wers mag auch Schweineschmalz)
  • 1 EL Bienenwachs
  • 1 TL Harz (am besten pulverisiert)
* für besondere Kraft Donnerstags (dem Tage Donars) pflücken

So habe ichs gemacht

  1. Hauswurzblätter mit Hilfe eines Mörsers kleinstampfen
  2. Pressaft und Pflanzenreste in einen kleinen Topfgeben
  3. mit Wasser aufgießen, so dass alles bedeckt ist
  4. Joahnniskrautblüten udn Harz zugeben
  5. 7 Minuten einköcheln lassen
  6. Abseihen und Saft wieder zurück in den Topf leeren
  7. Zusammen mit Kokosfett und Bienenwachs erwärmen
  8. Sonnenläufig und mit guten Gedanken umrühren
  9. In sauberes Glas abfüllen und beschriften
Vielleicht kommen dir jetzt einige Schritte in meiner Anleitung zu heutigen Methoden unüblich vor, auch ich war anfangs skeptisch Zubereitungen mit viel Hitze und Wasser ohne zusätzliche Konservierung, anzufertigen. Dennoch hat man über viele Jahrhunderte diese Methoden angewandt und ich war einige Zubereitungen später überzeugt davon und rühre seitdem viele meiner Salben auf diese Weise.
Die heute üblichen, sanften Ölauszüge über mehrere Wochen mögen ihre Vorteile haben, allerdings wären wir ohne Feuer nicht da, wo wir heute sind.
Der Kesselkult unserer keltischen Ahnen ist eng mit den Elementen Wasser und Feuer verbunden, beides ist mütterlich und nährt.
Das Feuer gibt einer Zubereitung eine wärmende aber auch symbolische Energie die in die so zubereitetet Salbe miteinfliesst.
Das Einköcheln macht die Zubereitung "sauber" und reduziert dabei gleichzeitig das Wasser, lässt es verdampfen.
Die Zahl 7, gute Gedanken und sonnenläufig zu rühren oder ähnliche rituelle und bildhafte Vorgehensweisen potenzieren für mich die Heilkraft einer Zubereitung. Der Glaube kann bekanntlich Berge versetzen kann und mit Liebe gekocht schmeckt einfach besser ;) (Irgendwann werde ich hier auf dem Blog ausführlich über dieses Thema schreiben...)
Das kann man als Hokuspokus abtun oder auch nicht, wie immer gilt: selber entscheiden oder selber überprüfen.

Ich habe mit diesem Blogpost jetzt auch genau ein Jahr gewartet um meine so zubereitete Hauswurz Salbe genau zu prüfen.
Sauber gearbeitet, im Kühlschrank lichtgeschützt aufbewahrt und die Portionen stets mit einem Spatel entnommen scheint sie nicht einen Tag älter zu sein, riecht noch immer frisch und fühlt sich auch noch so an wie es sein sollte: angenehm kühl und nicht fettend. Mit Hausverstand aber nicht Laborgeprüft!
Natürlich ist ihre Lebensdauer trotzdem nicht auf ein Jahr ausgelegt, es ging mir um den Versuch und um wahrscheinlich meine damals noch vorhandenen letzten Zweifel aus dem Weg zu räumen, dass altbewährt tatsächlich funktioniert und auch gegen unsere modernen Ansichten sprechen darf.

Und wenn das nichts für dich ist dann probier die heimische Aloe einfach direkt auf die Haut aufgetragen oder als Gesichtsmaske aus.
Der erfrischende Geschmack macht sich natürlich auch gut im Salat oder in sommerlichen Getränken.



Hinweis: angeführte mögliche Heilwirkungen und Anwendungen von Pflanzen und Zubereitungen basieren auf dem Wissen der Volksheilkunde und sind nicht als Heilversprechen oder ärztliche Handlungsempfehlung zu verstehen!

Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultiere deinen Arzt oder Apotheker!


(c) naturzauber, pixabay, Leonhart Fuchs "New Kreuterbuch"